Grußwort 14. Juni 2014 (Festakt)
Sehr geehrter Herr stellvertretender Bürgermeister Dora, sehr geehrte Frau Oberstudiendirektorin Brautmeier, sehr geehrte Gäste, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Eltern, liebe Schülerinnen und Schüler!
Wie schon in der Festschrift in schwarzen Lettern dokumentiert, möchte ich am heutigen Festtag im Namen des Regierungspräsidenten, Herrn Prof. Dr. Klenke, und im Namen des Abteilungsdirektors der Schulabteilung, Herrn Wolfgang Weber, der gesamten Schulgemeinde zu diesem wahrhaft würdigen Anlass des 100jährigen Schuljubiläums ganz herzlich gratulieren und Ihnen über den heutigen Festakt hinaus noch eine besonders gelungene restliche Feierwoche mit vielen weiteren Höhepunkten und mit viel öffentlichem Zuspruch wünschen, z. B. am heutigen Nachmittag und Abend.
100 Jahre für eine Schule sind schon eine lange und bewegte Zeit, auf die dieses Gymnasium mit Stolz zurückblicken kann. Den Wandel von der zu Beginn geschichtlich fortschrittlich und doch hochgradig selektiven Einrichtung mit der Aura sozialer Exklusivität zu einer weithin offenen Einrichtung hat das Gymnasium insgesamt und das Comenius Gymnasium bestens bewältigt. Ein zentrales Element des strukturellen Wandels in heutiger Zeit liegt z. B. in einer völlig veränderten Gymnasialquote, die inzwischen in NRW bei 31% eines Altersjahrgangs liegt. Auch wenn weiterhin eine Parallelität von Bildungsexpansion und weiterhin bestehender enormer sozialer Ungleichheit konstatiert werden muss, wir es also mit dem Paradox einer Expansion bei gleichzeitiger vergrößerter Ungleichheit der Chancen zu tun haben, so hat das Gymnasium damit eine breite und vielfältige Schülerschaft als positive Ausgangslage erreicht und beginnt sich darauf pädagogisch einzustellen. Dies ist nicht selbstverständlich. Gegenüber einer solchen Bildungsexpansion – trotz einer leider immer noch vorhandenen ständischen Stufung der Bildungs- und Berufswege - hat sich das Comenius-Gymnasium offen und selbstbewusst verhalten. Ich denke beispielsweise daran, dass es sich schon in der Pilotphase der Schulinspektion, heute Qualitätsanalyse, gestellt hat, oder sich auch schon früh der heute im Schulgesetz verankerten individuellen Förderung zugewandt hat. Diesen Weg der inneren Schulreform gilt es schneckengetreu und damit unbeirrbar fortzusetzen.
Das heutige Gymnasium sollte gekennzeichnet sein von einer Willkommens- und Behaltenskultur für alle Schülerinnen und Schüler, die in diese Schule aufgenommen wurden, sodass Brüche in Schul- bzw. Schülerbiografien möglichst vermieden werden und eine Pädagogik realisiert wird, die vom Bemühen gekennzeichnet ist, Unterschiede in der Sozialisation im Elternhaus durch Förderung soweit wie möglich auszugleichen und dabei die unterschiedlichen kulturellen Gewohnheiten, die sozialen Spielregeln, die symbolischen Milieuunterschiede gegenüber den eigenen anzunehmen, zu entschlüsseln, zu reflektieren und wertzuschätzen, um sich auch auf verschiedene Milieus und Habitusformen einzustellen und sie als andere Potentiale zu verstehen, die auch ein möglicher Weg nach Rom sind, um so eine milieugerechte Förderung von Chancengleichheit zu ermöglichen.
Dies zu betonen, ist deshalb richtig, weil ein Kernergebnis der PISA-Untersuchung von 2012 ist, dass sich Fünfzehnjährige hierzulande unterdurchschnittlich gut von ihrer Lehrkraft im Lernen unterstützt fühlen. Insofern ist es wichtig, dass eine gemeinsame Verantwortung von Lehrkräften einer Schule für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler entsteht und sich in einem gemeinsamen Schulethos niederschlägt. Dazu gehört angesichts einer veränderten Kindheit und Jugend immer auch eine erzieherische Mitverantwortung, die unverzichtbare Notwendigkeit erzieherischer Einwirkung und die Ermöglichung von einer pädagogisch geprägtrn Beziehungsdimension in der Schule, ohne dabei das schulische Mandat zu überdehnen, die Möglichkeiten der Lehrerschaft zu überschätzen und die Schule zu einem opulenten Alleskönner zu machen. Aber Schule heute hat anzuerkennen und erfolgreich in ihrem Handeln umzusetzen, dass jeder Lernende einzigartig ist, dass er Stärken und Potentiale besitzt und einen Anspruch darauf hat, auf dieser Grundlage erfolgreich gefördert, unterstützt und auch in der Schule erzogen zu werden.
Mit der Übernahme der Aufgabe der Gestaltung einer inklusiven Bildungslandschaft am Comenius-Gymnasium hat dieses Gymnasium auch nach außen gezeigt, dass es ideologischen Vorstellungen von Bildungsapartheid und einer vermeintlich gerechten und einer scheinbar wissenschaftlich belegten Begabungstypologie widersteht, die nur zur Absicherung von Statuszuweisungen in hegemonialen Kämpfen dient. Das Comenius-Gymnasium hat dies hoffentlich auch im eigenen Selbstverständnis überwunden. Eine solche positive Unterstellung schließt ein, dass es in einer solchen Schule um die Förderung von Gemeinsinn, um das Erfordernis einer gemeinsamen Bildung als Zugehörigkeit zur menschlichen Gemeinschaft geht und nicht um partielle Interessenvertretung, um einen individualisierten Kampf – aus der Perspektive der Erziehungsberechtigten betrachtet – für den eigenen Nachwuchs. Eine derartige Schule macht sich auch Gedanken, wie sie pädagogisch mit einer zunehmenden Konkurrenz- und Leistungsorientierung von klein auf und in allen Lebensbereichen umgeht.
Ein solches Selbstverständnis ist die Schule auch ihrem Namensgeber schuldig, der in seiner Zeit schon die ständische Gebundenheit von Erziehung und Bildung überwinden wollte, Privilegierung als Verstoß gegen Gott selbst ansah und sich deshalb für eine institutionalisierte Erziehung für alle einsetzte und in seiner „Didactica Magna“ forderte, „alle Menschen alles zu lehren“. Comenius war es, der erstmals für die Entwicklung der Vielfalt der menschlichen Potentiale eintrat und einer solchen Bestimmung der Schule Vorrang gab gegenüber jeder gesellschaftlichen Funktionalität. Insofern kann man sich auf ihn berufen, wenn hier und heute daran erinnert wird, dass die Schule prioritär keine Auslese-, sondern eine Erziehungs- und Bildungsagentur ist. Eine bildungsbiografische „Rolltreppe abwärts“ für Schülerinnen und Schüler ist damit nicht vereinbar, weil die gewählte Schule die Verantwortung für den Bildungsweg der ihr anvertrauten Kinder übernimmt.
In der Wahrnehmung dieser Aufgabe wird schon der deutliche Wandel im Verständnis des Comenius-Gymnasiums sichtbar, selbst mit Blick auf die letzten 50 Jahre. Ich beziehe mich auf das 50jährige Schuljubiläum am 6. Juli 1963, als zu diesem Anlass der damalige Bürgermeister Schneider vom Gymnasium die Heranbildung und Formung einer geistigen Elite erwartete. Auch der damalige Schulleiter, Oberstudiendirektor Dr. Werner, beschwor „das Bekenntnis zum Staat“ und sah in der höheren Schule noch den Ort, an dem „ein fester Wissensschatz mit begrenzten Wissensstoffen“ vermittelt wird.
Mit dem heutigen Verständnis von schulischem Demokratie-Lernen, das im neuen „Referenzrahmen Schulqualität“ des Schulministeriums seinen Niederschlag findet, und diesem hier folgend, ist eine solche Form affirmativer Bildung, die das Ziel ohne die Beteiligung der Betroffenen festlegt, aber vor allem eine solche, die sich als Staatsbürgerkunde oder als staatsbürgerliche Erziehung sich zur Herrschaftslegitimation missbrauchen lässt mit den Vorstellungen einer politischen Bildung, die auf relationale Mündigkeit, auf ein Mündigwerden als soziale Praxis und eigene Urteilsfähigkeit ausgerichtet ist und mit einem schulischen Demokratie-Lernen, das sich als Einheit von politischer Bildung und demokratischer Erziehung versteht, nicht vereinbar. Heutiges Demokratie-Lernen muss immer auch die unterschiedlichen Formen der Demokratie und ihre Kritik berücksichtigen, also z. B. Entdemokratisierung und soziale Ausgrenzung problematisieren, Widersprüche zwischen Anspruch und Realität herausarbeiten und vor allem Offenheit praktizieren, auch für Alternativen. Demokratie – um es mit Jürgen Habermas zu sagen – ist ein „unvollendetes Projekt“. Die Einführung in die demokratische Lebensform als schulische Aufgabe bedeutet, dass nicht Zustimmung das Ziel ist, sondern das Aushalten von Dissens und der zivile Umgang damit. Der Referenzrahmen Schulqualität NRW formuliert das so: „Die Schule verfügt über eine demokratische Gestaltungs-, Diskussions- und Streitkultur“.
Auch folgt die heutige Schule nicht mehr einem stoff-materialem Wissensverständnis, sondern Kenntnisse und Erkenntnisse müssen sich als sinnkonstitutiv und als bedeutsam für den Einzelnen und zur kulturellen und politischen Teilhabe erweisen. Mit den heutigen Neo-Sprech-Imponiervokabeln wäre von distalen (also am Ende zu erreichenden) Kompetenzen zu sprechen, die sich in echten oder simulierten Anforderungssituationen zu zeigen haben.
Insofern ist der Wandel selbst innerhalb von 50 Jahren zu erkennen. Das mag auch daran liegen, dass seit Beginn des 21. Jahrhunderts der Druck auf schulische Veränderungsprozesse deutlich größer geworden ist.
Aber gleichgültig ob, wegen oder trotz TIMSS, PISA und IGLU für die Grundschule, um nur einige neuere Untersuchungen zur internationalen Leistungsmessung des Schulsystems zu nennen, und der berechtigten Kritik an einer zu niedrigen deutschen Abiturientenquote hat das Comenius-Gymnasium in seinem Umfeld, dem Ostvest, dazu beigetragen, dass der Umfang pädagogischer Bildung und hochqualifizierter Ausbildung kontinuierlich angestiegen und dass Bildung heute zu einem zentralen gesellschaftlichen Wert mit großer Breitenwirkung wurde.
Dafür gilt es heute im Jahre des Jubiläums darüber zu wachen, dass deutlich wird und bleibt, dass Bildung mehr ist als eine Wirtschafts-Ressource, dass Bildung vor allem ein Grundrecht jedes Mensch ist und individuelle Persönlichkeitsbildung und Welterfahrung verbindet. Gerade bei einem solchen Jubiläum gilt es innezuhalten und darauf aufmerksam zu machen, dass Bildung viel mehr und anderes ist als in Tests und Vergleichsarbeiten – trotz deren Berechtigung - abgefragt wird, dass Bildung anderes meint als die Anhäufung von positivem Wissen, dass Bildung mehr ist als Ausbildung und Qualifikation und damit mehr ist als ökonomisch und funktional verwertbares Wissen, das dann zur lebenslangen marktkonformen Selbstoptimierung genutzt werden soll. Insofern möchte ich dem Jubilar und allen, die sein pädagogisches Innenleben gestalten, mit auf den Weg geben, dass auch weiterhin das zu bildende Subjekt in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit gerückt wird und dass die Zielausrichtungen des schulischen Bemühens um Bildung als offene Sollensoptionen unter Beteiligung der Sich-Bildenden verstanden werden, die sich in reflexive Auseinandersetzungen zu sich selbst und zu den Welt- und Gesellschaftsverhältnissen begeben und die so Möglichkeiten zur Teilhabe an zivilgesellschaftlichen Diskursen, an Öffentlichkeit erhalten. Das Festhalten an Bildung soll verdeutlichen, dass es in der heutigen Schule mehr als um nur eine systematische Überprüfbarkeit des „Outcome“ der Schülerleistung geht, weil der Ausgangspunkt des Nachdenkens über schulische Bildung die Möglichkeit einer Entfaltung der Menschen, nicht ihre Verwertbarkeit sein sollte, und zwar jenseits von ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und volkswirtschaftlichem Nutzenkalkül, manchmal noch garniert mit dem Hinweis auf den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Die wichtigste Aufgabe von Schule ist es, Lernen so anzulegen, dass daraus Bildung werden kann. Darum braucht Lernen Freiraum: eine größere Selbstständigkeit der Schule; die Freiheit der Schule, den Unterricht neu und verändert zu denken und auf ein umfassendes Verständnis von Bildung im Sinne emanzipatorischer Subjektwerdung anzulegen und Freiheit für aktive Formen der Aneignung, für selbstständiges und selbsttätiges Lernen und eigenverantwortliches Handeln im Unterricht mit individuellen und gemeinsamen Rückmeldungen. Das Comenius-Gymnasium hat sich dahin auf den Weg gemacht, muss diese Entwicklung aber auch konsequent weitergehen.
Die umfassende Erneuerung eines Schulprogramms, das den Namen eines Schulentwicklungsprogramms verdient, das sich als inneres Regiebuch der systematischen Unterrichts- und Schulentwicklung und den Paradigmenwechsel zur „lernenden Schule“ vollzieht und somit den Weg von der individuellen Autonomie, der nur losen Vernetzung und Isolation des Lehrer/-innen/handelns zur kollektiven bzw. gemeinsam und institutionell abgesichert und verbindlich vereinbarten Arbeit des Kollegiums beschreitet, ist eine der wichtigen Zukunftsaufgaben für die gesamte Schulgemeinde. Solche niedergeschriebenen Vereinbarungen müssen dann auch gelebt bzw. realisiert werden, soll es nicht nur um eine Pädagogik der Postulate handeln, die ausschließlich auf dem Papier steht.
Dafür ist das Comenius-Gymnasium aber gut aufgestellt. Es ist für die jetzt und in Zukunft notwendig gewordene Neuorientierung des Gymnasiums und insbesondere der Einzelschule gut gerüstet. Wenn es – wovon nach der Entwicklung der letzten Jahre auszugehen ist – konsequent weiter an der Verankerung systematischer Innovation, am willentlichen Aufbrechen festgefahrener Veränderungen mit großem Elan arbeitet, um die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu meistern, kann es sich als offene Lernarena weiter profilieren und so allmählich ein lernendes System werden. Selbstverständlich darf es sich dabei nicht nur um einen „organisatorischen Fassadenputz“ handeln, sondern ein Qualitätsmanagement ist gefordert, das sich vorrangig auf den Gesamtkomplex Unterricht bezieht und dabei die Erziehung nicht vergisst, um den Aufbruch zu wagen, Bildungs- und Erziehungsprozesse systematisch zu optimieren. Hinter eine Verpflichtung zur kontinuierlichen und kontrollierten Innovation gibt es gerade vor dem Hintergrund einer 100jährigen Geschichte im Hinblick auf die nahe Zukunft kein Zurück mehr.
Die Herausforderungen sind zu groß, dass die Schule und damit auch das Comenius-Gymnasium zum „business as usual“ übergehen könnte. Der Modernisierungs- und Qualitätsdruck bei begrenzten Ressourcen und die Verantwortung damit sinnvoll, ernsthaft und unter Beachtung der von Hentigschen Idee der Herstellung menschlicher Maße und Werte sind groß. Groß ist aber auch die Chance, dass die aktuellen Reformbemühungen wie schon in den 60er Jahren bei Picht und Dahrendorf nicht nur oberflächliche und vordergründige Aufmerksamkeits- und Hinguckdiskussionen erzeugen, sondern die „trägen Tanker“ wie Schulen und Bildungssysteme so in Bewegung zu setzen, dass sie durch die tief greifenden Veränderungen die richtigen Lehren aus der „Begleitmusik“ internationaler Untersuchungen über die schulische Qualität ziehen und damit ihren pädagogischen und gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, ohne dabei allerdings funktionalistischen Herstellungsvorstellungen und marktgängigen Vereinnahmungen zu folgen, die die ethische Gebundenheit und pädagogische Verpflichtung von Schule vernachlässigte. Soll nicht mangelnde Bildung die Möglichkeit junger Menschen, die durch die Schule Selbstsicherheit erworben haben und mit Mut und Zutrauen in ihre eigenen Möglichkeiten ausgestattet wurden, sich in unserer Gesellschaft zu engagieren und ihren Platz zu finden, zunehmend begrenzen, muss eine zeitgemäße gymnasiale Bildung nicht nur intelligentes und systematisches Orientierungs- und Deutungswissen und wissenschaftspropädeutische Kompetenzen vermitteln, sondern sie muss auch die Motivation zu lebensbegleitendem und sinnvermittelndem Lernen ins Programm schulischer Lernprozesse einbeziehen, aber vor allem auch einen Beitrag zur Erweiterung und Erhaltung der Verfügung über sich selbst, zur kritischen Reflexion unbegründeter gesellschaftlicher und politischer Zwänge und Ideologien und zum sozialen Mut, sich für das richtig und sinnvoll Erkannte einzusetzen, ins Zentrum ihrer Bemühungen setzen.
Das Comenius-Gymnasium hat über Jahre hinweg bewiesen, dass es jung geblieben ist, dass Rückwendungen zur Tradition als Rückblicke und nicht als Rückwendungen verstanden wurden. Es hat ein zu seiner tatsächlichen Situation in der Gesellschaft passendes Selbstverständnis entwickelt und damit begonnen, sich seinen pädagogischen Weiterentwicklungsaufgaben zu widmen, die das Motto tragen könnten „Wandel erkennen und Weichen stellen“. Erfreulicherweise hat es erkannt, dass es zu einem solchen Motto keine Alternative gibt, da das mit Nichtstun verbundene Risiko viel größer ist als das Risiko kalkulierten Wandels, der sich fortlaufend entwickelt und auch weiterhin schulaufsichtlich begleitet und qualitätssichernd überprüft werden muss. Insofern bin ich ganz gewiss, dass unter den sich wandelnden Ausgangsbedingungen die Veränderung des Comenius-Gymnasiums mit der notwendigen Entschiedenheit, Geduld und mit dem Augenmaß für das Machbare in Angriff genommen wird. Nur so kann meines Erachtens gesichert werden, dass bei einer verkürzten gymnasialen Schulzeit und bei einer Neupositionierung des Abiturs das Abiturzeugnis an dieser Schule weiter nicht nur einen fiktiven Notendurchschnitt ausdrückt, sondern dass damit erworbene Kompetenzen summiert und schulisch erworbenes und gewonnenes Können beschrieben werden, dass damit aber zumindest auch ein bescheidener Beitrag gegen eine erneute soziale Schließung des Gymnasiums geleistet werden kann.
Möge das Comenius-Gymnasium in der berühmten Kanalstadt Datteln in den nächsten Jahren den eingeschlagenen Weg ohne Zurückhaltung konsequent fortsetzen, denn Bildung braucht Schulentwicklung und systematische Unterrichtsentwicklung – gerade in der zweiten Moderne. Bildung benötigt aber auch die Unterstützung der Bildungspolitik, die Schulen auf die Übernahme neuer Aufgaben adäquat vorbereitet und Ressourcen dafür zur Verfügung stellt – also eine Bildungspolitik, die sich nicht damit begnügt, „pädagogische Großinfusionen“ nur zu verordnen oder über den Schulen abzuwerfen und sich mit dem Abwurf und der Inszenierung politisch vordergründiger Aktivität und der Nutzung populistischer Politikstile unter den Bedingungen des „Politainments“ und damit des reinen Spektakels zufrieden gibt. Vielmehr ebnet eine konsequente und nachhaltige Bildungspolitik mit Muße und doch in schneckengetreuer Weise den Weg der Zielverfolgung und gestaltet ihn ausbaufähig, um grundlegenden Wandel unter einer pädagogischen Perspektive zu ermöglichen und umso dem parteilichen Interesse der ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Eine solche Bildungspolitik bedenkt auch die Folgeprobleme ihres Handelns mit und reduziert auch Lehrkräfte nicht auf „professionelle“ Erfüllungsgehilfen heteronomer und disparater Ansprüche und löst die Widersprüche heutigen Schulehaltens nicht in einer individualisierenden Betrachtung mit der zentralen Erkenntnis der Hattie-Studie auf, dass es auf den Lehrer ankäme, um diesem allein das Versagen anzulasten.
Es bleibt also noch viel zu tun.
Viel Erfolg für mindestens noch einmal 100 Jahre!
Glückauf!
Dr. Gernod Röken
(Es gilt das gesprochene Wort)